Fischers Rückblick auf die ersten Häuserbesetzungen in Frankfurt vor 36 Jahren: Erst kam der Bäckerweg 1970&71&72&73 und dann das Westend und die „Putztruppe“, die dann 26 Jahre später in Belgrad Wohnraum zerstörte

Karl C. Fischers Text hat die Besetzung des Bäckerweges vergessen. Die lief schon weit über ein volles Jahr. Das Haus wurde von einer Mieterversammlung italienisch-jugoslawisch-türkisch-griechisch-deutscher Zusammensetzung verwaltet und instandgesetzt. Von den Nachbarn wurde diese Hausbesetzung unterstützt, auch weil die die Wohnraumzerstörung nördlich des Bethmannparkes verhindern wollten. Von den Nachbarn konnten die Besetzerinnen auch erfahren, was die schräge, zugeputzte Fuge im Hauseingang bedeutete: „Da war eine Torarolle drin!“ – Das Haus Bäckerweg 4 gehörte bis 1938/39 einer jüdischen Familie. Jetzt einem Rechtsanwalt XXX aus dem Vordertaunus, der dann  auch gerichtlich die Räumung durchsetzte, der die Mieter aber durch Auszug zuvorkamen, weil sie um ihr Hab und Gut fürchteten … Wie er zu diesem Haus kam, das füllt einige Kapitel eines Romans. „Des sieht aus wie 38! Solle mer net doch noch was unnernemme?“ – so der Kommentar einiger Nachbarn.  Erst als die Mieterversammlung aufgeben musste und dabei war auszuziehen, kam nachts eine Delegation des gerade eben gebildeten Häuserrates aus dem Westend – nachdem es auch Herbert Faller, dem linken SPDler nicht gelungen war, die Stadt FFM für eine „Duldung“ des Bäckerweges zu gewinnen – mit seinen Staffelberger-Resozialisierungsinitiativen, dem „Literarisch-Cineastischen Verein“, mit Jean-Marie Straub und Holger Meins & Thomas Weissbecker als Aktivisten … Die Westend-Delegation bot Unterstützung an, nachdem dort bereits die Hierarchien geklärt waren und Fischer und DCB putschartig die „Macht“ übernommen hatten. Für den Bäckerweg kam die Hilfe eh zu spät, aber unter den „Westend-Bedingungen“ hätte die Mieterversammlung diese „Hilfe“ so und so abgelehnt. Hier lebten nicht nur eine Handvoll Ethnien zusammen sondern auch eine Mischung aus Spontis, MLerinnen verschiedenster Schattierungen, MSB-Spartakus-DKPlerinnen, Trotzkistinnen, Anarchistinnen, Heteros, Schwulen und Lesben . ja sogar ein leibhaftiger Juso, ein israelischer Kriegsdienstverweigerer, Mitglieder der Wiener jüdischen Gemeinde im Exil, eine Handvoll Staffelberger, vorübergehend und als GAST auch der Sohn des Leiters des US-Handelszentrums (bis er rausflog);

Etwas mehr Klartext hätte dem Fischer-Text nicht geschadet — aber vielleicht dem Autor? Gibt es Rechtsnachfolger von Selmi, die klagen könnten ?
Rückblick auf die ersten Häuserbesetzungen in Frankfurt vor 36 Jahren
Nur meine Utopie?  Von Karl C. Fischer
(aus dem onlineflyer der nrhz)

Heute heißt Gewinnwarnung nicht Warnung vor Gewinn, sondern Vergrößerung von Verlust, worauf sich die Aktieninhaber noch rasch von ihren im Wert fallenden Anteilen trennen, was wiederum die Börsenkurse fallen lässt. Wirtschaft besteht nun aus dem irrealen Aktien- und Bankwesen und der realen Wirtschaft, die von dem „Un-Wesen“ genauso abhängig ist wie die Staaten. Dabei zählen zur realen Wirtschaft auch die Elektronische-, die Automobil-, die Nahrungsmittel- oder die Möbelindustrie, die tatsächliche Waren mittels ihrer Arbeitnehmer mit Gewinn herstellen könnte, wenn die Banken die in Jahrzehnten geschaffenen Geldwerte nicht verzockt hätten.

Daher gehen vielleicht keine Massen mehr auf die Straße, wenn die Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe immer öfter Opfer brutaler Gewalt werden und ihre Chefs erklären, sie hätten kein Geld für sichere Fahrerkabinen. Dabei weiß doch jeder, dass zusätzliche Schaffner mehr Schutz böten und weniger kosten als die technische Umrüstung, was die Zahl der Arbeitslosen verringern könnte.

Auch dieser Irrsinn schreit nach Revolution. Doch sie müsste als Generalsstreik mit den Hauptzielen „Für globalen Frieden, Arbeit, Bildung und Nahrung für alle“ von den internationalen Organisationen der Arbeitnehmer ausgerufen werden und von deren Basis ausgehen.

Rudi Arndt im Frankfurter Römer
Rudi Arndt im Frankfurter Römer

Diese Erkenntnis reifte vor 36 Jahren in mir. Damals, als ich zum ersten Mal damit konfrontiert wurde, das jemand in meinem Beisein vorschlug, eine revolutionäre Lage schaffen zu wollen, wurde in Frankfurt am Main, meiner Vaterstadt, der politisch als „links“ eingestufte Rudi Arndt zum Oberbürgermeister gewählt. Er gehörte der Volkspartei an, die über 50 Prozent Wählerstimmen erhalten hatte, während die hessischen Rahmenrichtlinien für Schulen sogar gesellschaftsverändernde Tendenzen aufwiesen – wie die Presse schrieb.

Was aber geschah auch in dieser fast fortschrittlichen Zeit, wenn sie mit der heutigen verglichen würde?

Als Oberbürgermeister Möller Ende 1971 überraschend starb, war die Spekulation mit Gründstücken im Frankfurter Westend schon in vollem Gange. Spekulanten, wie Markiew und Selmos versuchten nicht nur gut erhaltene Häuser in bester Lage, sondern ganze Straßenzüge widerrechtlich abzureißen und in Glas und Beton neu erstehen zu lassen. Unterstützt durch den Baudezernenten trieben sie die langjährigen Mieter aus den Wohnungen und machten diese unbewohnbar. Jetzt sickerten Studenten aus ihren Mansarden in die leerstehenden Gebäude ein, besetzten und renovierten sie, worauf sich schließlich ein Häuserrat bildete.

Daher beschloss die Partei noch bevor Oberbürgermeister Arndt sein Amt angetreten hatte, dass die Zerstörung von Wohnraum verboten werde und die Nutzungsrechte der Mieter solange gelten sollten, bis der Umbau der Häuser nachgewiesen sei. Zugleich genehmigte man polizeiliche Maßnahmen nur im Rahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr.

Transparent an besetztem Haus in Frankfurt 1973
Transparent im Westend 1973: „SPD, Spekulant, Magistrat sind ein Gangster-Syndikat“ | Quelle: indymedia

So war es noch, als Arndt sein Büro im Römer bezogen hatte und Mitglieder der Partei beauftragte, mit dem Asta, dem Häuserrat und der Parteijugend wegen der Räumung der „instand-besetzten“ Häuser zu verhandeln. Doch noch bevor die Verhandlungen begonnen hatten, rückte Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen, Wasserwerfern, Reizgas, Schilden und Schlagstöcken an und versuchte die besetzen Gebäude mit brutaler Gewalt zu räumen. Der Frankfurter Häuserkampf war entbrannt.

Es war dann im Januar 1972 im Haus Silberberg, einem Nebengebäude des Römer, wo fünfundzwanzig Delegierte sowie Rainer Elmer, Günter Damm und auch ich über die Fehlentwicklung der städtischen Wohnungspolitik stritten. Schon vor Beginn der Diskussion war mir geläufig, dass Elmer der Scharfmacher der Anti-Monopolisten war, einem Flügel der Jugend unserer Partei, die in vielen hessischen Städten mit absoluter Mehrheit regierte. Ich wusste auch, dass die „Anti-Monopos“ mit einem Bündnis aus Arbeitern und mittelständigen Unternehmern gegen die Monopole vorgehen wollten, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Zudem provozierte Elmer gerne und erklärte auch in dieser Debatte: „Die Monopolkonzerne sind ja jetzt schon dabei, den Staat in den Prozess ihrer Profitaneignung einzubeziehen.“

Dabei berief er sich auf einen führenden Kopf der Partei, den ersten Bürgermeister eines Stadtstaates, der gesagt hatte: „Der Staat ist Erfüllungsgehilfe des Großkapitals.“ Er war nämlich zurückgetreten, da er sich nicht gegen den eigenen Landesvorstand durchsetzen konnte, der einem Konzern als Lobby diente und sich für den Bau eines Kernkraftwerks entschieden hatte. Doch das stand im Widerspruch zu den Beschlüssen der Partei und der von ihr geführten Bürgerschaft.

Frankfurter Westend Polizeiensatz 1973
Der Staat und weitere Erfüllungsgehilfen 1973 | Quelle: indymedia

Elmer führte das große Wort und fiel Damm, dem Sprecher der „Linken“, nicht nur ins Wort, sondern griff ihn auch scharf an. Plötzlich zog Elmer ein Papier aus der Tasche, das die Absetzung des Oberbürgermeisters forderte, da dieser im Sold der Monopole stünde und des Spekulanten Selmos, von dem wir wussten, dass er das Vermögen des Schahs verwaltete und Häuser im Westend „entwohnt“ hatte. Die zunächst vorherrschende Unsicherheit aller Anwenden nutzte Elmer, um eine sofortige Abstimmung zu verlangen, obwohl keiner die Gelegenheit erhalten hatte, seinen Antrag wenigstens zu lesen.

Nun zweifelte ich entgültig an Elmers korrekten Absichten und überlegte, wie ein auf diese Art agierender Revolutionär – für den er sich hielt – mit seinen Anhängern umginge. Er ließe sie erschießen, wenn sie sich ihm nicht beugen wollten, dachte ich.

Einige Zeit zuvor hatte ich nämlich geahnt, dass die „Anti-Monopos“ ihr Bündnis von Arbeitern und Unternehmern konspirativ planten und revolutionär ausführen wollten. Das bewog mich, ihre Auftritte ebenso aufmerksam zu beobachteten wie Damm, den ich schätzte. Dennoch wurde mir unterstellt, ich sei ein Gefolgsmann von Elmer, da er mir Briefe schickte, in denen ich gebeten wurde, an den Veranstaltungen des Bündnisses teilzunehmen, die von einer anderen Partei gefördert wurden. Jetzt aber nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und griff den Scharfmacher sogar gegen den Willen von Damm mit wütenden Worten an: „Verräter!“ schrie ich. „Ich beuge mich nicht, auch nicht der Gewalt“.

Elmer rannte um den Tisch herum, sprang auf mich zu, versuchte mich umzustoßen und zu würgen, als seine Attacke nicht gelungen war. Während ich mich befreite und ihn von mir stieß, brüllte ich: „Eine solch undemokratische Abstimmung lasse ich niemals zu – solange mir noch Atem bleibt.“

Nun mischten sich weitere Parteimitglieder ein, während einige um Ruhe baten und andere den Saal verließen. Am Ende waren wir beschlussunfähig, so dass die Versammlung abgebrochen werden musste, während Elmer und seine Anhänger den Raum verließen.

Der Sonderparteitag aber fand erst Anfang Mai 1973 statt, bei dem Beschlüsse wegen des Häuserkampfes vom Januar 1972 auch gefasst wurden, da es im April 1973 in der City zu einer Hetzjagd auf den OB gekommen war.

Denn der Bauausschuss hatte am 4. April 1973 zugunsten der Besetzer mit den Inhabern des Hauses Kettenhofweg 51 verhandelt. Doch der Gerichtsvollzieher ließ das Grundstück am nächsten Tag unter Polizeischutz räumen, um dem Rechtsanspruch zweier Großspekulanten zu genügen, die das Gebäude zerstören aber nicht erklären wollten, was nach dem Abriss an dessen Stelle gebaut werden sollte.

Proteste im Frankfurter Westend 1973
Proteste im Frankfurter Westend 1973 | Quelle: indymedia

Nun sprach der Parteivorstand Polizeipräsident Müller und dem OB das Misstrauen aus. Wenig später verfolgten beide mit Magistratsmitgliedern eine Kundgebung gegen Wohnraumzerstörung und Grundstücksspekulation in der Stadtmitte. Dabei wurde Arndt von Widersachern erkannt, die seine Anwesenheit per Lautsprecher verurteilten. Innerhalb von Minuten wurden der OB und seine Begleiter von Demonstranten eingekeilt, gestoßen, beschimpft und mit Tränengas besprüht, was sie zur Flucht durch die ganze City zwang.

Die „Anti-Monopos“ tauchten erst wieder in der Öffentlichkeit auf, als sie Mitglieder einer anderen Partei geworden waren, was ich als einer der ersten durch einen Brief erfuhr, der von Elmer selbst stammte. (CH)

aus dem Online-Flyer der nrhz Nr. 193  vom 15.04.2009
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Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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