Die junge Welt spendet Drost-Worte für Kassenpatienten

alte Frau kl.

Die Wartezimmer sind überfüllt, in vielen Kommunen in ländlichen Regionen gibt es fast gar keine Ärzte mehr und viele von denen, die es noch gibt, können immer mehr KassenpatientINNen nur noch deshalb versorgen, weil sie die Quartals-Verschreibungs-Kontingente der wenigen, nicht so häufig kranken Privatversicherten „anpumpen“. „Natürlich verdiene ich an Privatpatienten mehr als an gesetzlich Versicherten, bei denen lege ich fast bei jedem Vierten drauf… und dabei ist die Lage hier bei uns noch Gold!“ …Hier bei uns ? Das ist noch im Speckgürtel um EZBankfurt.

Die Stimmung im Wartezimmer ist nicht sooo angenehm. Klar, die Wartezeiten sind zu lang, es kommt ab und zu der Verdacht auf, dass Privatversicherte vorgezogen werden… auch wenn da eine Mitteilung in Großdruck an der Wand hängt: „Die Reihenfolge der Aufrufe wird weder durch den Zeitpunkt Ihres Eintreffens noch durch den Versicherungsstatus bestimmt, sondern allein durch medizinische Gesichtspunkte..“ oder so ähnlich. … Na ja, wenn mich der Arzt noch nicht gesehen hat, kann er auch keine medizinischen Gesichtspunkte heranziehen für die Begründung, warum er mich erst so spät aufrufen lässt. Aber sei’s drum.

 

Die „Krankenstände“ steigen, die Arbeitsbedingungen werden immer brutaler, die Leute werden in den Jobs physisch und psychisch fertig gemacht, die Löhne und Gehälter werden runtergefahren, die Überstundenberge erreichen die Höhe des Mount Everest … Das ist hier kein bloses Krankschreiben, schon lange kein „Krankfeiern“ mehr, das ist ein Krankheits-Tzunamie, besonders bei Lohnabhängigen, Arbeitslosen, HARTZ4ern, viele kommen erst zu spät zum Arzt, viele stehen unter Zeitdruck, wollen – müssen sich schnell wieder arbeitsfähig machen lassen, Tablette, Spritze, schnell, fertig. Die Ärzte haben kaum noch Zeit, sich mit den Patienten ausreichend zu beschäftigen, zu sprechen, zuzuhören… in vielen der zu wenigen Praxen werden die Wartezimmer zu psychosozialen Therapie-Räumen, hier arbeiten schnell zusammmengekommene „Selbsthilfegruppen“, die Alten schwätzen sich mit ihren Geschichten zunindest seelisch gesund… Ja ja, das ist nicht immer von jedem und besonders von jedem Privatpatienten zu ertragen. Und oft auch nicht sonderlich genesungsfördernd, wenn man sich die Krankheitsgeschichten aller Wartenden anhören muss. Aber man erfährt dabei auch viel von der sozialen Wirklichkeit in diesem Land… über die Krankheitsursachen – und das ist so manchem bessergestellten Privatversicherten eher unangenehm. Klar, die Stinkreichen kommen so und so nicht hier in die Praxis. Aber solche, die sich für was Besseres halten schon.

 

Und die, die schreiben dann auch schon Mal in der Zeitung solche hinterfotzigen Texte über kranke, altersverarmte, vereinsamte Menschen:

 

Im Patientenmodus

…. Der natürliche Feind des geduldigen Patienten ist der Mitpatient, der nichts im Auge hat als seinen Vorteil und jeden anderen ausstechen will. Wenn das nicht gelingt, ist er beleidigt und fängt das Jammern und Janken an; mancher seufzt sich schier zu Tode. Erstaunlich ist auch die ungebremste Mitteilungsfreude Fremden gegenüber; je weniger einer zu sagen hat ((etwa ein Untergebener ? ein Hilfsarbeiter ? ein EinEuro-Jobber ? fragt HaBE den Droste)), desto mehr zerkaut er anderen die Trommelfelle, als wäre die Welt ein Chatroom.

 

Ein mir gänzlich Unbekannter wurde nicht müde, allen Anwesenden seine Krankheitsgeschichte aufzudrängen; erst als ich ihm prophezeite, das er schon recht bald an Laberzirrhose versterben werde, ließ er es endlich sein und starrte verbittert aus der Wäsche.

Ein gerechter Richter hätte ihm ein paar Jahre Schwatzhaft aufgebrummt; dass ein solches Urteil nicht ergehen kann, offenbart eine klaffende Lücke im Gesetzbuch.

 

Das hat jetzt nicht in der BILD und auch nicht in der ZEIT gestanden, nicht im LÜGEL oder im LOCUS. Könnte man aber doch meinen, wie da die Patienten gegeneinander aufgehetzt werden, richtig „realistisch“:

 

Das englische Wort „patient“ heißt geduldig, und wer Patient ist, braucht Geduld. Man muss warten können; Drängelpatienten, die „Hier! Erst ich! Ich! Ich zuerst!“ krakeelen, sind allerdings eher die Regel als die Ausnahme. In manchen Arztpraxen geht es zu wie auf einer deutschen Autobahn, wo Ego-Shooter sich um die Pole-Position wämmsen, weil sie ja ein natürliches Anrecht auf Bevorzugung und Nummer-Eins-Sein zu haben glauben..

 

Nein, das steht nicht in ZEIT und BILD, das hat Wiglaf Droste in der jungen Welt Nr. 120 vom Mittwoch, dem 27.Mai 2015 im Feuilleton geschrieben.

 

So was von dieser „kleine Leute-Bashing“-Qualität hat er schon mehrfach in der jungen Welt veröffentlichen dürfen: über Krankenhauspersonal, Zugbegleiter und so weiter  Kleine Auswahl gefällig ?

http://www.barth-engelbart.de/?p=848

http://www.barth-engelbart.de/?p=803

http://www.barth-engelbart.de/?p=12250

Als linkem Schriftsteller könnte dem Wiglaf Droste bei deutschen Autobahnen doch ne Reihe anderer Fragen in den Kopf kommen und in die Tasten fließen als nur die nach den tiefergelegten AUDI-A6ern und anderen Kamikaze-Maschinen. Die sind zwar ätzend, aber viel gefährlicher sind unausgeschlafene LKW-Fahrer, schlechte Bereifung der 24 – 46-Tonner, kaputte Bremsen.. oder die übermüdeten Vertreter in den MB-BMW-AUDI-schwarzen Dienst-Combi-Überschallgeschossen oder einfach gestresste, ausgepowerte Pendler im Berufsverkehr.

 Der Patientenmodus. Von Wiglaf Droste

ist ein glänzender Beitrag zum Realismusstreit in der jungen Welt.

Ich hoffe jetzt nur noch, dass dieser Text auch wieder Mal über den Net News Express der Info-Krieger mitverbreitet wird.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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