Aus der Trilogie „Grenzgänger“ werde ich in nächster Zeit Ausschnitte aus den Erzählungen um Hannia W. lesen. Sie wurde in Lodz von den Nazis zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert und von dortaus nach Auschwitz. Als Medizinstudentin wird sie als Lager-Krankenschwester eingesetzt. Sie kann aus den Leichenbergen der vergasten Frauen u.a. zwei notgeborene Kinder abnabeln und in die Baracke ihrer Mutter schmuggeln. Beide Kinder können bis zur Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee versteckt gehalten werden. Eines der Mädchen lebt heute in Australien, das andere in Kanada. Hannia wandert nach dem Krieg aus Polen mit ihrem Mann nach Israel aus. Sie litten beide unter dem polnischen Antisemitismus, der später auch in Teilen der SOLIDARNOSC eine große Rolle spielt … Nach 18 Jahren halten es beide mit ihren Kindern wegen des herrschenden Rassismus in Israel nicht mehr aus und wandern wieder aus – nach Deutschland … Die Jagd verschiedener Journalisten u.a. des ZDF-Stars Peter Kammer nach ihrer Story hält Hannia nicht durch. Sie wird das Opfer der Holocaustvermarktung der Volksempfänger-Erben.
Anfang April 1988 liegt sie tot im Flur ihrer Wohnung. Todesursache Herzinfarkt, sagt der Hausarzt. Aber Nachbarn haben mitbekommen, dass Hannia W. noch am gleichen Tag vormittags mit sich überschlagender Stimme einen Mann abgewehrt hat, der sie besuchen wollte. „Das war nicht das einzige Mal, das ging schon wochenlang so. Bei ihr klingelte andauernd das Telefon, mehrmals in der Woche waren fremde Leute da, die nach ihr fragten. Wenn sie da war, hat sie sie meist gleich an der Tür abgewimmelt. Ein paar sind wohl zu ihr in die Wohnung gekommen, dann haben wir das Geschrei nicht so laut gehört. Nein, wir wissen nicht genau, worum es ging. Erst haben wir gedacht, das sind Vertreter. Wir haben da ja nicht gelauscht. Wir sind doch hier keine Blockwarte! Aber es muss etwas mit Polen zu tun gehabt haben. Frau W. ist ja in Polen geboren. Das hat sie uns Mal erzählt, in Litzmannstadt oder wiedie Polen sagen in Lodz, . Na ja, hieß es früher ja auch schon, „Theo, wir fahrn nach Lodz!“ Und sie kann fließend polnisch. Der Spargelbauer Kugel hat sie immer Mal angerufen oder auch bei uns,wenn wieder Spargelzeit war. Da sollte sie dolmetschen. Das konnte sie sehr gut. Und noch ein paar andere Sprachen. Manchmal hat sie auf Englisch und auf Französisch geschimpft. Das haben wir noch verstanden. Aber es waren auch noch andere Sprachen: Russisch und Jüdisch. — Herbert, das heißt nicht jüsdisch, du sprichst doch auch nicht evangelisch, das war Hebräisch.— Nein, red doch nicht immer dazwischen, das war kein Hebräisch, ich konnte das doch teilweise verstehen, das war nicht jüdisch, das war – wie heißt dieses Lied nochmal? „Zehn kleine Negerlein ? Zehn Juden sinnen mir, nein Zehn Brieder sannen mir gewesen ? das war Jiddisch !. , Sie soll ja nicht aus Polen sondern aus aus Israel hier hergekommen sein. So was gibts doch eher selten – Oder ? Es waren auch Leute mit Tonbadgeräten und mit Kameras da, da dachten wir erst, an Aktenzeichen XY oder Versteckte Kamera…. Das wurde uns dann doch etwas mulmig, und wir haben uns dann auch nicht gewundert, wie man sie dann tot gefunden hat. Die Tür war nur angelehnt. Also nur so ein Herzinfarkt ? Nee, die Frau W. war echt richtig stabil, die hat noch geputzt, hat eingekauft, hat für ihren Sohn gekocht. Ja, der ist in den letzten Wochen .. nö, was sag ich in den letzten Monaten üüüberhaupt nicht mehr aufgetaucht. Vielleicht ist ihm was passiert ? Also, sie hat in den letzten Tagen kaum noch gegrüßt, wo sie doch sonst die Höflichkeit in Person war. Die hat hier richtig reingepasst. Immer gepflegt. Und dann machte sie plötzlich einen völlig verwirrten Eindruck und dann kam dieser Mann so gegen 11Uhr vormittags, hat lange geklingelt und sie bei ihrem Vornamen gerufen. Wir dachten erst, es ist jemand von der Familie – nein, nicht ihr Sohn, den kennen wir ja, und als sie dann anfing zu schreien, na ja, dachten wir: Familienstreit eben, Erbschaftssachen, vielleicht hatte sie ja noch Grundstücke in Frankfurt. … Den Juden hat man ja übel mitgespielt. Die arme Frau. Und der Sohn. Der weiß bestimmt noch gar nichts. Vielleicht hat sie ihm wenigstens doch noch was vererbt. …
Hannias Beerdigung ….
Ich werde die Erzählungen bei allen Lesungen demnächst dabei haben und jeweils eine davon als Zugabe zum aktuellen Lesungsprogramm lesen. Oder wenigstens ein paar Seiten davon…
9.10. Volle “Bandbreite” im Club Voltaire FFM & Elias Davidson & “Arbeiterfotografie”
Das Dritte Leben der Hannia W. Lodz, Theresienstadt, Auschwitz, Tel Aviv, Frankfurt
Ein Freund und Redaktuer eine Berliner ZeitStreitSchrift hat bei mir wegen dieses Textes angefragt, der eigentlich nur ein „Trailer“ ist: ich solle doch erkären, was das für eine Jagd ist, die die Journalisten veranstaltenb und was ich mit „Holocaustvermarktung“ meine. Um es ganz vorsichtig auszudrücken: den Journalisten geht es in der Regel einen Scheißdreck um die Menschen, die da umgebracht werden und auch nicht um die, die demnächst dran sind. Neue Kriege schaffen neue Storys, schaffen auch für die schreibende Zunft neue Arbeitsplätze. Es geht um den Marktwert der Ware Nachricht. Und um sonst nichts. Und um Karrieren und dafür schreiben sie auch über Leichen. Dass ich das hier so schreibe , wird mir keine gute Presse einbringen.:
AUS DER MAIL AN MEINEN BERLINER FREUND E.S.:
Zur Journalisten-Jagd: im Zuge der Solidarität mit den Streiks der Polnischen Werftarbeiter in Gdansk, Zopot, und Gdynia und der Herausbildung der Solidarnosc hängt sich eine Reihe von Journalisten an die Solidaritäts-Initiativen, um per LKW-Konvoi in Polen sich die Storys zu holen, die auf dem offiziellen Weg nicht holbar sind. Es sind auch ein paar alte Ostlandreiter dabei, ein paar Leute von der Gesellschaft für Menschenrechte, Gewerkschfter, linksProtestanten und Katholiken, Linksradikale und Frühautonome, beginnende Wendehälse – eine an Buntheit nicht zu übertreffende Gruppe…. Als einige Topp-Journalisten wie Peter Kammer vom ZDF Wind davon kriegen, dass auch Auschwitzüberlebende bei den Hilfskonvois mitfahren, wird die Treibjagd eröffnet: auf eine 73-jährige, deren Geschichte von Lodz über Theresienstadt nach Auschwitz sie im Fernsehn und in den Spitzenprintmedien versilbern wollen: Auschwitz sells. Zumal wenn es sich jetzt gegen den „Realexistierenden Sozialismus“ unter Jaruselski wendet und zur propagandistischen Infiltration in den Ostblock eignet: nur einige Punkte sind eben nicht so günstig: der polnische Antisemitismus ist eng verschränkt mit Antikommunismus und faschistischen Elementen. Was auch störend wirkt, ist ihre Rückwanderung von Israel nach Deutschland. Aber immerhin nach Deutschland und nicht ins „realsozialistische“ Polen oder in die DDR