Mit Gerhard Zwerenz Tod fehlt meinem politischen Alphabet jetzt das Ende. Vor 30 Jahren war Altvater kein ausreichender Ersatz für Wolfgang Abendroth. Steht jetzt bei allen unterschreibbaren Aufrufen am Anfang Altvater und zum Schluss Lukas Zeise oder Ingrid Zwerenz?
Gerhards Abschied von der Bühne hat mich in einem Tief sehr tief getroffen. Aber er bleibt und wenn ich gar zu traurig werde, schnappe ich mir meine „unter-schlag-zeilen“ und lese euer Vorwort, das mir so unendlich viel bedeutet hat und weiter bedeutet.
Ich hoffe nur, dass Gerhard nicht noch Stunden vor seinem Tod das Umkippen Alexis Tzipras‘ mitbekommen hat.
Gerhard war es, der mich 1964 schon fast wachgerüttelt hat mit seinem „Heldengedenktag“, der Pate stand für meine Umtextung des „Ich hatt einen Kameraden“ und weitern Kriegsliedern aus dem BuWe-Gesangbuch. Gerhard war es, der mir die Dunkelheit beim Bund im Bau erhellte, wenn mich der Standort-Kommandant wegsperren ließ. So wie Wolfgang Neuss , wenn sich im Kasernenhof die Sonne verfinsterte. Die reingeschmuggelte Lektüre war da „Casanova oder der kleine Herr in Krieg und Frieden“. Ich gestehe, das war noch nicht jugendfrei und ich war noch keine 19.
Dein „Soldaten sind Mörder“ hast Du im Gegensatz zu Biermann nicht auf die Grenzsicherungstruppen bezogen, nicht auf die NVA, nicht auf die Rote Armee. Wenn mich die Unteroffiziere aus dem Panzergrenadier Bataillon in Mellrichstadt während des Unterrichts bange fragten, ob ich sie für Kriegsverbrecher hielte, habe ich mit Deinem „Heldengedenktag“ im Hinterkopf Absolution erteilt: „Ihr seid keine Kriegsverbrecher, die sitzen in Bonn und Washington, Ihr seid nur Kanonenfutter!“
Als ich Dich nach meiner Kriegsdienstverweigerung als Offiziersanwärter und Unteroffiziers-Zwangsausbilder in der Bundeswehr 1967 zum ersten Mal in Offenbach beim Ostermarsch traf, hast Du mich mit Augenzwinkern gerügt, als ich Dir sagte, ich hätte im Bau Deinen “Casanova“ gelesen. „Mit 19 ist das aber noch etwas sehr früh!“ 35 Jahre später habe ich Dich wieder getroffen, Dich und Ingrid bei meinem Kabarett-Programm im Dachcafé der EZBankfurter Kaufhof-Galeria. Da hattet ihr mir euer Vorwort schon geschrieben.
Das alles und viel mehr ist mir in Kopf und Herz von Dir geblieben. Ich werde alles weitergeben …
Nur wird es schwierig mit den vielen Resolutionen.
Bisher war klar: von A- wie Abendroth und später Altvater bis Z wie Zwerenz, da kann ich ohne viel zu zögern unterschreiben. Jetzt prüfe ich genauer und lass es manchmal bleiben.
Das nächste Mal werden wir uns nicht oben im Dach-Café sondern sicher unten treffen.
In Tübingen habe ich vergeblich nach einem Denkmal für Deinen Lehrer gesucht. Das hat mich auf die Palme gebracht. Tübingen hat den dazu passenden NATO-Oliv-GRÜNEN Bürgermeister. Das erklärt Manches. Meine Fotoausstellung zur EZB in FFM heißt „Bankfurter Loch“, weil zwischen 1928 und 1944 in der Großmarkthalle offenbar nichts Dokumentierbares passiert ist.
Für diese Zeit fehlte bei den Schautafeln am EZBauzaun jede Erklärung. Meine Reportage zu Bloch in Tübingen wird dann „Tübinger Loch“ heißen.
Bis dann.
Dein HaBE
Siempre para la gente siempre con la gente oder wie das Ingrid und Gerhard Zwerenz im Vorwort zu meinen “unter-schlag-zeilen” schreiben: “Von wegen, die Menschen interessieren sich nicht für Literatur, sie tun das durchaus, wenn die Literatur sich für sie interessiert!”
Unter der Überschrift “Nur keinen Streit vermeiden” schrieben die Beiden: “Es kann einen Autor teuer zu stehen kommen, hält er sich strikt an das, was er schreibt. MundTod ist der Titel eines Gedichts von Hartmut Barth-Engelbart: »Wenn wir/ nicht früh/ genug/ den Mund/ aufmachen/ haben wir/ am Ende/ gar nichts/ mehr/ zu sagen.« Der Lyriker und Lehrer aus Hanau denkt gar nicht daran, den Mund zu halten, seine Feinde finden, er hat eine zu große Klappe. Die zitierten epigrammatischen Zeilen erinnern an Erich Fried, dem seine Verse nicht wenig Ärger eintrugen. Für Barth-Engelbart eskalierte der Ärger.
Vor einigen Monaten wurden seine Gedichte auf offener Straße verhaftet. Wie aber kamen sie dahin? Hartmut Barth-Engelbart ist das Gegenteil eines Innenweltdichters. Mit Poesie und Prosa begibt er sich mitten unter die Leute. Vom Wiener Ballhausplatz importierte er dazu die dort bereits bewährten Widerstandslesungen, denen es in Hanau und anderswo nicht an Publikum fehlt.
Von wegen, die Menschen interessieren sich nicht für Literatur, sie tun das durchaus, wenn die Literatur sich für sie interessiert. Weshalb sich Polizei und Justiz für HBE’s Verse interessierten ist eine bunte Geschichte, der Autor erzählt sie in diesem Sammelband, der Spannung aufbaut wie ein Krimi, wer die Täter sind, verraten wir nicht. … ”