FRAUEN-LEIDEN FRAUEN-STÄRKEN: Inge Hornischer nachgeschrien

Dr. Zerres hat uns die Pille verschrieben, sie uns auch geschenkt, wenn wir das nötige Kleingeld nicht hatten, 1968/69. Der Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, bei dem die von Margret organisierte Breite Gasse im Wartezimmer darauf wartete vom Doc den PuffTÜV, den Fickschein  zu kriegen. Wisst ihr noch, die Praxis neben den E-Kinos an der Hauptwache im Schatten des Kirchturms, hinter dem HAKO-Schuhgeschäft mit der Rutsche über drei Etagen, wo dann später die Knaus-Ogino-Schicksals-Kinder, die nicht mehr abgetrieben werden konnten, selbst in Holland nicht und höchstens beim Schlachter von Bergen-Enkheim, dem Dr. Netter, der die Frauen noch blutend wieder auf die Straße schickte, wenn sie die 600 DeMark bezahlt hatten – also da wo diese Kinder später jubilierend  von der 2. oder dritten Etage ins Parterre rutschten, das ging auch ohne Schuheinkauf  – zumindest eine Weile.

 

Und wo gingen wir dann hin, wenn gar nix mehr ging, wenn die Schlafzimmertür mehrfach eingetreten nur noch in einer Angel hing ? Und die Blutergüsse sich so tief ergossen, dass selbst Audrey Heburns Sonnenbrille nach dem Frühstück bei Aschingers Onkel Max sie nicht mehr verstecken konnte

Du Warst Der Weiber (guter) Rat !
Inge Hornischer nachgerufen

Ach Inge
warum musstest Du jetzt gehn
Ich hätte auch nach 50 Jahren
Dir noch unendlich lange zuzuhörn
und zu versuchen zu verstehn
und längst noch nicht
zum letzten Male
der Prinzenrolle abzuschwörn
und wer ist jetzt der Weiber Rat
jetzt, wo Du viel zu früh
gegangen bist?
Und wer macht jetzt
die Weiberrechtsberatung zum Frauenlohn?
Wer schützt die Kinder jetzt vor Geiselhaft
Wer davor, dass der Patriarch
sie als Ersatz abstraft
Du
die Du
immer in die Bresche sprangest
und für die Weiber und die Kinder Frauenhäuser
öffnetest
wenn Prinzenrollkommandos
durch die Ehebetten tobten
und dann als OpferTäterOpferTäter
wieder aufgepäppelt und gehätschelt
blauäugig weiter blaue Augen schlugen
und später
Besserung gelobten…
Ach Inge, bleib
nimm mich
Du weißt, wie schwach ich bin
Dein einer Arm, der weist mich ab
er weiß warum und bleibt ganz kühl
Ich hoff auf Deinen zweiten starken
wenn der noch frei ist
halt mich fest und
halt mich warm
Die Ballade
vom wohltätigen Frauenarzt,
der sich mit seiner Barherzigkeit einen Heiligenschein
die zweite Villa mit Swimmingpool, eine Forellenzucht
und einen Reitstall im Taunus verdiente(1975)
Der hier nicht namentlich genannte Frankfurter Frauenarzt durfte eigentlich wegen Medikamenten-/Alkoholabhängigkeit nicht mehr praktizieren. Dass er weiter wurschtelte, wurde von den zuständigen Frankfurter Stellen mit zugekniffenen Hühneraugen geduldet. Ende der 70er wurde der Arzt von seinem jüngeren Freund und Günstling ermordet. Dieser war als Alleinerbe eingesetzt, konnte aber nicht so lange warten.
Die Praxis in Bergen-Enkheim war die einzige Anlaufstelle für Frauen aus Mittelhessen. Da der nette Arzt fast im Fließband-Verfahren arbeitete, mussten die Frauen nach Behandlung in der billigsten Preiskategorie oft noch blutend die Praxis verlassen:
ein Ergebnis der Kriminalisierung der Abtreibung.
Er macht sich zwar nicht in der Öffentlichkeit
für den Paragraph 218 stark
doch sichert der ihm unversteuert nebenbei
einen Stundenlohn von rund tausend Mark
fünf Frauen schafft er in sechzig Minuten
im Hinterzimmer in seinem Vorstadtpalast
und wenn dabei auch mal zwei halb verbluten
die schweigen aus Angst vor Gericht und KnastRefrain:

Denn dieser Arzt ist doch so sozial
und ein immer netter
Helfer der Frauen, auch Kleingeld macht
sein Konto immer fetter

Und dann wurd eine Frau vor Gericht gestellt
weil die vorher beim staatlichen Gutachter war
und der hat sie registriert, wie immer abgelehnt,
als das Kind jetzt nicht kam, war der Staatsanwalt da
beim Verhör hat sie die Abtreibung zugeben mssen,
doch den Namen von dem Arzt hat sie nicht gesagt.
Wenn der auffliegt, sind die Andern aufgeschmissen,
weils hier in der Gegend kein andrer mehr macht.

Refrain:

Denn dieser Arzt ist doch so sozial…

Doch die Frau hat ihn ganz umsonst verschwiegen
der Staatsanwalt wusste längst bescheid
denn der Doktor hat die gnädige Frau Staatsanwalt
schon mal aus einer missligen Lage befreit
weil noch weitre hohe Damen unter seinen Kunden waren
fand auch kein Ermittlungsverfahren statt
der Staatsanwalt deckte den Doktor seit Jahren
weil er ne stark soziale Ader hat

Refrain:

Denn dieser Arzt ist doch so sozial….

Wenn der Staat jetzt den zweihundertachzehn verschärft,
dieser Arzt tritt dagegen ganz sicher nicht auf
zwar wird auch er mit härteren Strafen bedroht,
doch das nimmt der Doktor gern in Kauf.
Da wird einfach bei steigendem Risiko
der Heiligenschein an den Nagel gehängt
der Preis wird erhöht und die Barmherzigkeit
auf die zahlungskräftigsten Kunden beschränkt.

Dieses Pack ist asozial
spielt sich auf als Menschenretter
und die leben sehr gut vom Abtreibungsverbot
das macht ihr Konto immer fetter

(Nachbemerkung: in den vom KBW majorisierten Komitees gegen den õ 218 sorgte eine Zentralzensur für die Unterdrckung dieses Liedes.
Es richte sich nicht gegen den „Hauptwiderspruch“ zwischen dem  Kapital/Staat und dem Volk sondern es behandele einen „Nebenwiderspruch“ und gebe „dem Kampf gegen den § 218 eine falsche Stoárichtung“, meinte das ZK des KBW. Mag sein, dass dieses Lied mit dafür verantwortlich war, dass der Volksentscheid gegen den § 218 dann leider doch nicht geklappt hat. Sehr spät, aber immerhin noch lebend, bekenne ich mich schuldig. Im katholischen Österreich hat es aber geklappt. Wahrscheinlich, weil mein Lied dort weniger verbreitet und ich früher Mal evangelisch war. :-)))))

Professor
Dr. med. Praetorius
(Dieses Lied war 1975 ber Frauengruppen und Initiativen gegen den õ 218 weit verbreitet. Der KBW hat es in „linienbereinigter Form“ als „Mannheimer Lied gegen den õ 218“ in hoher Auflage vertrieben und nach dem Motto „Alles Gute kommt von oben“ verschwiegen, dass es nicht aus der damaligen KBW-Zentrale stammt. Das Lied haben Leute aus dem JuZ Dörnigheim mit mir zusammen vertont und arrangiert, es kam von unten! Mit Unterstützung der Schauspieler wurde dieses Lied im Vorprogramm zu Heiner Mllers „Zement“ im Foyer des Frankfurter Schauspielhauses vorgetragen, zusammen mit der „Ballade vom wohtätigen Frauenarzt“. Die Verwaltungsoberen der Frankfurter Oper wurden seitens der städtischen Polizeibehörden gedrängt, das Vorprogramm unter dem Titel „Oktoberland“ zu zensieren. Die Beiträge gegen den $ 218 sollten unterbunden werden. Das scheiterte jedesmal am Widerstand der Schauspielerinnen und der Mehrheit des Publikums.
Die Lieder, die Unterschriften- und Spendensammlung gegen den $ 218 blieben bis zur Absetzung des Müller-Stückes fester Bestandteil des Vorprogrammes. Besonders spannend wurde das Programm, wenn Uniformierte in Zivilbegleitung zum Mitsingen aufgefordert wurden.)
Wenn der Professor Doktor med. Praetorius
mal zur Abteibung was sagen muss
dann doziert er vom Schutz des werdenden Lebens
doch sucht man bei ihn vergebens
nach einem Wort gegen Nachtschicht und Akkord
und das ist bekanntlich Mord
Der Senator vom Industrie- und Handelstag
sprach: „Was der Industrie am Herzen lag,
hat verfassungsgerichtlich seine Geltung behalten,
um unsre Macht auf dem Weltmarkt zu entfalten,
braucht die freisoziale Marktwirtschaft
billige Arbeitskraft!“Zum Paragraph 218 sprach der General:
„Bedenken Sie doch im Verteidigungsfall
unsrer ™lquellen, die im Nahen Osten liegen,
und wenn wir innre Unruhen kriegen,
braucht das Heer auf jeden Fall
ne Menge Menschenmaterial!“

Der Herr Bischof sprach zum Paragraph sein Hirtenwort
„Die Abtreibung ist Massenmord
Gottes Wille steckt in diesem Paragraphen
Ihr sollt Kinder kriegen und gehorsam schaffen!“-
Fr die Unternehmer den Profit       – und dabei-
kassiert die Kirche mit.

Der Verfassungsrichter sprach: „Der Paragraph bleibt stehn,
wir dürfen doch nicht an der Verfassung drehn,
sie schützt die Würde von ungebornen Kindern!“
Nur kann die bei Gebornen nicht verhindern,
dass diese Würde gar nichts nützt,      -wenn man-
ohne Arbeit auf der Straße sitzt.

Ob mit der Fristenregelung, ob mit der Indikation
ob Regierungspaqrteien oder Opposition
du wirst begutachtet, bevormundet und kontrolliert,
von Ämtern und von Ärzten schikaniert,
bis du am Ende von der Frist         -wieder mal-
ne glückliche Mutter bist.

Ob Arzt, ob Bischof, Richter oder General,
die Regierung und die Herrn vom Kapital –
wir werden uns eurem Urteil nicht beugen,
das Volk muss selbst entscheiden,
alles andre nützt uns einen Dreck,
der ganze Paragraph muss weg!

Das öffentliche Absingen solcher Lieder war 1975 nicht ganz ungefährlich. Es wurde als „Mordpropaganda“ eingestuft und führte in einigen F“llen zur polizielichen Beschlagnahme von Lautsprecheranlagen, Gittarren, Noten usw., zu vorläufigen Festnahmen, erkennungsdienstlicher Behandlung und Anzeigen u.a. wegen „Aufforderung zu Straftaten“, „Beleidigung von Staatorganen, Verfassungsorganen“, „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Informationsstände wurden beschlagnahmt. Das Frankfurter Frauenzentrum wurde im Juli 1975 vom Oberstaatsanwalt und der Mordkommission in einer Nacht- und Nebelaktion überfallen, um an Daten von Frauen heranzukommmen, die abgetrieben hatten oder „Beihilfe“ leisteten. Die Beihilfe war notwendig, weil die Frauen sonst Kurpfuschern von der Sorte des Dr.Netter ausgeliefert waren. Neben der Beratung organisierte das Frauenzentrum Fahrten zu holländischen Abtreibungskliniken, übernahm die Vor- und die Nachsorge.  Beide Lieder und weitere waren frester Bestandteil des „Oktoberland“-Vorprogramms zur Frankfurter Inszenierung vopn heiner Müllers „Zement“.  Der Versuch des Intendanten mit Hilfe von Polizeieinsätzen diesen Programmteil aus dem Theater zu verbannen scheiterte am Widerstand derSchauspiererINNEN. Das Ensemble bildete jeweils eine in jeder Hinsicht menschliche Barrikade gegen die Polizeieinsätze.

Nachüber 45 Jahren möchte ich mich dafür bei dem damaligen Schauspiel-Ensemble nochmals öffentlich bedanken.
HaBE

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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