von Joachim Guilliard
Forderung nach Exportstopp: Grüne und Linke skandalisieren Lieferungen von Chemikalien und Pumpen an Syrien, weil die auch im Militärbereich verwendet werden können
Die Linksfraktion im Bundestag hat noch einmal nachgehakt: Eine erneute Anfrage an die Bundesregierung ergab, daß in den vergangenen 15 Jahren neben 360 Tonnen Flußsäure und Galvanisierungsmittel auch einige Spezialventile und Pumpen nach Syrien geliefert wurden, die auch bei der Herstellung von Chemiewaffen verwendet werden könnten (siehe jW vom 21. Oktober).
Der Wahlkampf ist vorbei, und so bestand Hoffnung, daß damit auch die Anstrengungen der Partei Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen enden würden, aus der Lieferung von sogenannten Dual-Use-Gütern (d.h. sowohl für zivile als auch militärische Zwecke nutzbar) an Syrien einen Skandal zu machen und einen Stopp solcher Exporte zu erreichen. Leider geht die kurzsichtige, eurozentristische Kampagne, die letztlich weitreichenden Exportbeschränkungen an unliebsame Dritte-Welt-Länder Vorschub leistet, offensichtlich weiter, meist gekoppelt mit scharfzüngigen, aber unbelegten Anschuldigungen gegen die syrische Regierung.
Bereits Ende September hatte die grüne Europaabgeordnete Barbara Lochbihler nachgelegt und die Chemikalien-Exporte zum »Hohn für die Opfer« der Giftgasanschläge vom August erklärt. Als Parteipolitikerin benötigt die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International keine belastbaren Belege mehr für den von ihr unterstellten Zusammenhang. Bisher gibt es keinerlei Hinweise darauf, daß die gelieferten Stoffe für die Giftgasproduktion genutzt wurden, und es spricht wenig dafür, daß die syrische Armee die Anschläge in Vororten von Damaskus verübte.
Lochbihler steht im linksliberalen Lager mit ihrem laxen Umgang mit Fakten nicht allein. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, war im Wahlkampf noch weiter gegangen und hatte wenige Tage vor der Bundestagswahl via Twitter zirkulieren lassen: »Deutschland ist offenkundig mitschuldig am Tod von über 1400 Kindern, Frauen und Männern durch den Chemiewaffenanschlag vom 21.08. bei Damaskus.« Zahlreiche Medien griffen das Statement dankbar auf. Es war einerseits Munition gegen die Bundesregierungen der vergangenen Dekade, anderseits bediente es die Behauptung, Präsident Baschar Al-Assad sei verantwortlich für den verheerenden Giftgaseinsatz.
Der stellvertretende Linke-Vorsitzende Jan van Aken setzte die Kampagne Anfang Oktober fort, indem er der Bundesregierung vorwarf, das Risiko einer Verwendung der Chemikalien für die Giftgasherstellung bewußt in Kauf genommen zu haben. »Politischer Wahnsinn und menschenverachtend« sei die Genehmigungspolitik Berlins. Die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Keul setzte sich dafür ein, die Lieferung »waffenfähiger Chemikalien« an Länder zu verbieten, die »bestimmte Abrüstungsabkommen nicht ratifiziert haben«, wobei sie sicher nicht an die USA oder Israel dachte. Unter »waffenfähigen Chemikalien« verstehen die Grünen alle Stoffe, die bei der Herstellung von chemischen und anderen Waffen irgend eine Rolle spielen können. Die Linksfraktion schloß sich der Forderung nach einem Kriegswaffenexportstopp an, der solche Dual-Use-Güter einschließt.
Die Fakten selbst geben keinen Anlaß für die ganze Aufregung und lassen Gysis und Lochbihlers Äußerungen als pure Demagogie erscheinen. Gemäß der Liste des Bundeswirtschaftsministeriums handelt es sich bei den inkriminierten Stoffen um vier Basischemikalien, die, wie Salz- oder Schwefelsäure breite Verwendung in der Industrie finden: Natrium-und Kaliumcyanid, Fluorwasserstofflösungen und Ammoniumhydrogendifluorid.
Die Cyanide wurden in Form von »Galvanomischungen« geliefert, die, wie der Name vermuten läßt, bei der Galvanisierung von Metallen in sogenannten cyanidischen Bädern verwendet werden. Fluorwasserstofflösungen, umgangssprachlich Flußsäure genannt, werden seit langem zum Ätzen von Glas und Metallen eingesetzt. Heutzutage werden sie vor allem als Ätzmittel in der Halbleiterproduktion benutzt, daneben aber auch in der Galvanik, in der Erdölindustrie oder als Rostentferner für Textilien. Flußsäure dient schließlich auch zur Herstellung von Aminfluoriden für hochwertige Zahnpflegeprodukte.
Insgesamt exportierten deutsche Unternehmen laut Bundeswirtschaftsministerium zwischen Januar 1998 und April 2011 rund 360 Tonnen Chemikalien an syrische Firmen, das meiste davon, zirka 270 Tonnen, waren Fluoride. Jährlich kamen also knapp 26 Tonnen oder eine gute Lastwagenladung voll zusammen. Der Gesamtwert dieser Exporte betrug 1,048 Millionen Euro, d.h. weniger als 75000 Euro pro Jahr.
Noch bescheidener machen sich die am Wochenende nun zusätzlich bekannt gewordenen Lieferungen mechanischer Teile und Geräte aus. Innerhalb von 15 Jahren waren es 42 Ventile mit Spezialbeschichtung, zehn Wärmetauscherplatten und zwei Membranpumpen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums waren sie unter anderem für Papierfabriken, eine Brauerei und eine Erdgasaufbereitungsanlage bestimmt. Hinweise auf militärische Nutzung gibt es nicht.