Die Schlösser dem Volk! Enteignung der Fürsten ! (Teil 2): KPD/SPD-Volksentscheid-Kampagne 1926 am Beispiel Mittel-Gründau

Die CDU/FWG-Mehrheit in der Gemeindevertreterversammlung Gründaus bei Frankfurt/Main weigerte sich, eine Straße nach dem Widerstandskämpfer, Rot-Sport-Vorsitzenden, KPDler, legendären Moorsoldaten (Emsland-KZ-Börgermoor), Deserteur zu Titos Partisanenarmee und späteren SPDlers und Bürgermeisters des Dorfes Mittel-Gründau zu benennen.

Das hat mehr und tiefere Gründe als nur die  Nebenbemerkung eines Mitglieds dieser Mehrheit, Pfannmüller sei „ja Mitglied in einer verbotenen Partei gewesen“. Auf die Nachfrage, wer denn diese Partei, die KPD verboten habe, kam die Ergänzung:“Ei, die Nazis!“  Es war also nicht das erneute KPD-Verbot von 1956 gemeint, zumal ja Pfannmüller bereits  Ende der 40er SPD-Mitglied geworden war..

Es geht zurück auf Ereignisse von vor 85 Jahren, aber nicht nur das: die Gründe reichen zurück bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, bis zum oberhessischen Bauernaufstand 1830, den die Mittel-Gründauer unter Tobias Meininger und Paul Nagel anführten, bis zur 1848er Revolution, wo Mittel-Gründau ein „revolutionärer Vorort“ für eine demokratische soziale Republik war  und der Gründer der Oberhessischen Bahnen Dr. Christian Heldmann Mittel-Gründauer Abgeordneter in der Paulskirche und im Hessischen Landtag.. und es reicht zurück bis in die Zeit der 1918er Revolution, in die Zeit der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte …  . die es auch in den Dörfern gab..

Dass man in Hanau schon vor über 50 Jahren aus ähnlichen Gründen die Ernst-Thälmann-Straße im roten Stadtteil Lamboy in Berliner-Straße umtaufte, soll hier nicht weiter behandelt werden (Siehe hier im Archiv „Straßenkämpfe in Hanau“).
Die Umtaufe der Friedrich-Engels-Straße und der Karl-Marx-Straße werden wir eventuell noch miterleben dürfen….

Bleiben wir beim Beispiel Mittel-Gründau:

Die erste „Flurbereinigung“ durch die Nazis in der Rhön brachte den  Pächtern der Mittel-Gründauer Domäne  bereits in den ersten Jahren des 1000-jährigen Reiches  kräftigen Nachschub für die bereits vor 33 im Rahmen von Notverordnungen und Vorläufern des Reichsarbeitsdienstes zwangsverpflichteten Fulder-Mädchen und Bayern-Mädchen.

Deren Widerstand gegen ihre quasi Versklavung drückte sich in ihrem Erntelied aus:

„Rullman gib uns die Papiere
Rullman gib uns unser Geld
schöne hübsche Burschen sind uns lieber
als die Plackerei auf Rullmanns feld“

(Rullmann war in den 20er und 30er Jahren der Pächter der Fürstlich Isenburg-Büdingenschen Domäne Mittel-Gründau. Sein Nachfolger wurde als Pächter der Großagrarier Schutt, NS-Gefolgsmann der frühen Stunde und den oberen NS-Hintermännern der Habsburger Front verpflichtet. Sein Gutsverwalter war der aus Berlin kommende NSDAPler Schmerbeck, der gleichzeitig auch Ortsgruppenleiter der 5 Mittel-Gründauer NSDAP-Mitglieder war. Sein Sohn wurde zum örtlichen HJ-Fähnlein-Führer bestellt. Erste Differenzen zwischen den örtlichen NAZIS traten bereits bei der Ausschaltung des Strasserflügels, der Hinrichtung des homosexuellen SA-Führers Röhm und der Entmachtung der SA auf. Der örtliche Vertreter der Strasser-Strömung war der bärenhafte Gastwirt Kuhl (Schwiegervater der Arztes Dr. Göckel), der noch 1938 in Mittel-Gründau die Pogromnacht verhinderte: „Wir haben immer ein gutens Verhältnis zu unseren Mittel-Gründauer Juden gehabt!,  Wer nur einen einzigen Stein aufhebt, kriegt es mit mir zu tun. Die Pogromnacht in Mittelgründau blieb aus, es war aber auch nicht mehr viel zu holen, denn die beiden reicheren jüdischen Familien Hecht (der Vieh- und Korn- und Landhändler Karl und sein  Bruder, der Matzebäcker Otto) waren bereits vorher mit Hilfe der Mittel-Gründauer ausgewandert – in die USA die einen und nach Israel die anderen. Aber es ging auch um den Schutz der jüdischen Familien zwischen 1933 und 1938… Spätestens 1938 bemerkte der Gastwirt Kuhl, vor welchen Verbrecherkarren er sich hatte spannen lassen. Trotzdem blieb seine Gastwirtschaft bis 1945 die Stammkneipe auch der Mittel-Gründauer NSDAP-Mitglieder). Bezeichnend war , dass der Pächter Schutt versuchte, dem Landarzt Dr. Göckel die Zulassung als Kassenarzt entziehen zu lassen, weil der sich weigerte in die NSDAP einzutreten. „Ich bin Arzt für alle und deshalb gehe ich in keine Partei!“ war die Antwort von Dr. Göckel auf die Schuttschen Erpressungsversuche. Doch damit nicht genug: gegen die Blockade der jüdischen Geschäfte und Hofreiten durch die örtliche SA mit Unterstützung aus Büdingen und Gelnhausen (weil es in Mittel-Gründau nicht genügend SAler gab) behandelte Dr. Göckel die schwer krebskranke Frau der Viehändlers Hecht bis zu ihrem Tod und der anschließenden Auswanderung der Familie in die USA. Auch hier spielte das Machtwort des Gastwirts Kuhl eine Rolle. Denn die SA krümmte den mutigen Dr. Göckel kein einziges Haar. Die Zulassung als Kassenarzt verlor Dr. Göckel aber trotzdem beinahe, sie wurde ihm nur deshalb nicht aberkannt, weil seine Frau, die geborenen Gastwirtstochter Kuhl in die NSDAP eintrat, um die Arztpraxis zu retten… (eigentlich hätte Hans Fallada hier in Mittel-Gründau seine Romane schreiben können!!! Der Kuhl wäre eine der besten Romanfiguren dieser Zeit geworden — mit seinem Gegenpart Wilhelm Pfannmüller(KPD) ….und den Brüdern Karl Otto (SA) und Heinrich Otto (KPD)… viele der wenigen ersten NSDAPler in Mittel-Gründau meinten ja von Anfang an, sie seien in einer Sozialistischen Arbeiterpartei Mitglied geworden … und merkten erst viel später, wem sie da auf den Leim gegangen waren …..
Seit Mitte der 20er Jahre versuchte die KPD zusammen mit der SPD am Ort durch Aktionen die Forderungen der zwangsverpflichteten Rhöner Armut nach höheren Löhnen zu unterstützen.
Die Pächter wie das Fürstenhaus haben schon immer „Fremdarbeiter“ als Lohndrücker ein gesetzt: polnische TagelöhnerINNEN, dann die Fulder-Mädchen und die Bayern-Mädchen, dann die ZwangsarbeierINNEN aus Polen, Russland, dann Kriegsgefangene …Die Lohnforderungsunterstützung der Mittel-Gründauer Sozialdemokraten und Kommunisten in den 20ern waren den Pächtern und dem Fürsten schon zu viel, Das Fass zum Überlaufen brachten aber nicht die Lohnforderungsaktionen:

Diese Lohn-Kampagne wurde durch die Aktivitäten für einen Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung der Fürstenhäuser unterstützt.  Die Mittel-Gründauer Bauern und die Mondschein-KleinBauern  hatten ja noch bis zum Ende des 19 Jahrhunderts an ihren „Schulden“ bei den Büdingern zu zahlen, die dadurch zustande gekommen wraen, dass sie sich Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Fron- und Leibeigenschftsverhältnis freikaufen durften.
Das führte direkt aus der Fron- in die Schuldknechtschft und von dort in die Lohnsklaverei – meist auch noch in fürstlichen Betrieben oder in den aufstrebenden Kautschukbetrieben von Fulda über Veritas bis Dunlop …

Die NSDAP-Flurbereinigung wurde in der hessischen, der thüringenschen und der bayrischen Rhön, im Vogelsberg, im Spessart und im Odenwald durchgeführt, aber auch im Bayrischen Wald, im Emsland (Krumme Hörn!!-Moordorf).
Nutznießer waren die Reichsnährstandsführer, die Ortsbauernführer, die fürstlichen und kirchlichen Großdomänen … sie bekamen das enteignete Land und die „freiwerdenden Arbeitskräfte“ zwangszugeteilt soweit sie nicht in der Rüstungsindustrie zwangsverpflichet wurden…

Bei den regionalen und lokalen Bündnissen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten kam es vor 1933 oft vor, dass sich die Sozialdemokraten gegen Maßnahmen der eigenen Partei-Spitze zur Wehr setzen mussten: so zum Beispiel gegen die vom Giessener Regierungspräsidenten Heinrich Ritzel (SPD- den späteren aus dem Schweizer Exil zurückgekehrten SPD-Bundestagsabgeordneten)angeordneten Notstandsmaßnahmen, bei denen Tausende von Arbeitslosen zu „gemeinnützigen Arbeiten“ zwangsverpflichtet wurden und so die Löhne der regulär Beschäftigten ins Bodenlose drückten: so entstand noch lange vor 1933 z.B im Michelstadt im „Notstandsgebiet“ Odenwald das „Heinrich Ritzel-Stadion“ , das die NAZIS später in „Waldstadion“ umtauften.

Die meist zur NSDAP tendierenden oder bereits dort organisierten Großbauern und Großpächter, Gutsverwalter und Agrarindustriellen (inclusive der Chemischen Industrie, die schon in der Weimarer Republik den Absatzmarkt für „Kunstdünger“ benutzten, um die Produktionskapazitäten gegen die Völkerbund-Kontrolle für Sprengstoff zu erweitern…)
diese Versammlung schwarzbrauner Kumpane führte genau Buch über den Widerstand schon lange vor 1933 und machte sich sofort nach der Machtübernahme ans „Säuberungswerk“.

Es galt sofort zu Beginn der Säuberungen die Kommunisten gegen die Sozialdemokraten aufzuhetzen; in Mittel-Gründau geschah dies besonders hinterhältig durch die Verhaftung des Sozialdemokraten H. bei einem Tanzvergnügen in der Gaststätte Noss. Er war Kollege von Wilhelm Pfannmüller in dessen Reichsbahn Gleisbaustrupp.
In der GestapoZelle in Büdingen wurde ihm ein angebliches Geständnis des KPDlers Pfannmüller vorgelegt, in dem behauptet wurde, er H. sei auch Mitglied in der KPD und an der Verteilung von Flugblättern mit dem Aufruf zum Sturz Adolf Hitlers – also an der Vorbereitung zum Hochverrat beteiligt gewesen. Mit diesem Pfannmüller-„Geständnis“ wurde H. nun erpresst: er schrieb dann einen Brief, dessen Inhalt in der folgenden Zeit in Mittel-Gründau die Runde machte: „Wilhelm Pfannmüller hat mich ohne mein Wissen und hinter meinem Rücken in Langenselbold als KPD-Mitglied eingetragen und mich der Gestapo gegenüber als Mittäter verleumdet.“

Zumindest wird diese Version heute noch von vielen älteren Mittel-Gründauerinnen berichtet.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Ein Gedanke zu „Die Schlösser dem Volk! Enteignung der Fürsten ! (Teil 2): KPD/SPD-Volksentscheid-Kampagne 1926 am Beispiel Mittel-Gründau“

  1. Es ist notwendig, immer wieder auf das Umfeld der Nazis zu verweisen: vorgeblich durch „freie Wahlen“; an die Macht gewählt, „durch das Volk“. Entscheidend waren – und sind – die wahrhaft Mächtigen. Wirtschaftlich Mächtige und Groß-Mächtige waren die entscheidenden Stützen und Förderer. Da hatte der gewöhnliche Prolet keine Chance. So wie es heute auf die Stimme der Wahlbürger nur ankommt, wenn daraus Wählerstimmen werden: ansonsten gilt „Maul halten“. Das heutige Wahlvolk will keinen Krieg, keine Rente mit 67, keine zerschlagene Altersversorgung, keine zerstörte gesetzliche Krankenversicherung, kein Millionenheer von arbeitslos gemachten fleißigen Menschen.

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