Mit einigen Bauchschmerzen habe ich dieses BZ-Interview mit der GEO-Reporterin Gabriele Riedle hier reinkopiert. Es stammt vom 22. Februar 2011. GEO-Reporter sind die Nachfolger der Romantiker, die immer die Länder mit der Seele (heim)suchten, die später kolonial besetzt wurden. Die GEOs und ARTEs machen das heute eher wie Alexander von Humbold und Bernhard Grzimek: die Regionen wegen des Tierschutzes und der Rechte der indigenen Minderheiten ausforschen und dann – weil sponored by German Government and Deutsche Bank, Siemens, RWE , E-ON und sonstwem – sind diese GEO-Daten auch für die Schnellen Eingreiftruppen verfügbar.. von Contzen (Mongolei), SvenHedin (Mongolei und China), und Heinrich Harrer (Tibet), deren Forschungen vom Kaiser-Wilhelm-Institut, der Luftwaffe und dem Reichssicherheitshauptamt und der SS in Aufttrag gegeben und finanziert wurden – ist es nicht sonderlich weit zum Max-Plankh- und zum Goethe-Institut und zu GEO und ARTE – und, ob sie es nun bewußt betreibt oder nicht, auch zu Gabriele Riedle. Gerade deshalb ist dieses etwas naiv ehrliche Interview so wertvoll.
Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie
Gabriele Riedle ist während der Unruhen durch Libyen gereist. Ein Gespräch über die Lage im Land
Sabine VogelGabriele Riedle ist Redakteurin beim Magazin Geo. Für eine lange geplante Recherche war sie soeben drei Wochen in Libyen – als einzige westliche Journalistin im Land. Am Freitag kam sie zurück.
Frau Riedle, was haben Sie von den Unruhen miterlebt?
Oh, ich habe mitdemonstriert! Die Faust mit dem grünen Fähnchen in die Höhe gereckt und das „Grüne Buch“ Gaddafis in der anderen Hand.
Wie bitte? Für Gaddafi?
Zwangsweise. Wenn man von drei Geheimdienstlern beschattet wird, macht man lieber auf harmlos. Meine „Begleiter“ sahen aus wie aus dem Bilderbuch: lange schwarze Mäntel und Sonnenbrillen, damit man sie auch erkennt. Die machten Fotos von mir, da winkte ich eben mit meinem Gaddafi-Fähnchen nett in die Kamera.
Was hat Sie nach Libyen getrieben?
Ich wollte wissen, wie so ein Land aussieht, das noch immer ganz anders funktioniert als die meisten anderen. Bis vor Kurzem zählte Libyen zu den Schurkenstaaten, mittlerweile haben die Amerikaner wieder eine ansehnliche Botschaft in Tripolis, wir auch, Gaddafi hängt dauernd mit Berlusconi rum, und auch wenn es keine freie Marktwirtschaft gibt, können sich ausländische Unternehmen mit bis zu 49 Prozent an Firmen beteiligen. Nicht zu vergessen: Libyen ist für den Westen ein wichtiger Außenposten, von dem schwarzafrikanische Flüchtlinge und Migranten nach Europa aufbrechen – oder eben nicht.
Das erledigt sich ja inzwischen über Tunesien. War es für Sie schwierig rein zu kommen?
Es hat über acht Monate gedauert, bis ich ein Visum erhielt. Die lassen ja so gut wie keine ausländischen Journalisten hinein. Bis auf ein paar arabische Kollegen waren wir jetzt die einzigen. Wenn die Regierung gewusst hätte, wie sich das alles entwickelt, hätte sie uns bestimmt nicht einreisen lassen.
Wurden Sie beaufsichtigt?
Schon am Flughafen wurden der Fotograf und ich von einem Bewacher vom Informationsministerium abgeholt. Der folgte uns auf Schritt und Tritt, wir mussten ihm ja auch die ganze Reisebegleitung bezahlen, Inlandsflüge, Hotels, das ist so üblich. Irgendwie haben wir es geschafft, nach Benghazi zu fliegen und weiter nach Al-Bayda zu fahren, das sind die wichtigsten Städte im Osten, über 1000 Kilometer von Tripolis, da, wo es jetzt am heftigsten abgeht. Wir waren am Stadtrand untergebracht und quasi im Hotel eingeschlossen. Unser Übersetzer hat den Bewacher mit „Fotos von schönen Frauen“ abgelenkt, damit wir überhaupt raus konnten.
Was haben Sie dort gesehen?
Schon vorletzte Woche, bevor es richtig losging, war alles voller Polizei. Und wir haben gesehen, dass unglaublich viel gebaut wird. Am Stadtrand, mitten im Nichts stellen da chinesische Baubrigaden riesige Siedlungen hin.
Für wen sind die Siedlungen?
Vereinfacht gesagt, funktioniert Libyen so: Auf der einen Seite gibt es diesen monströsen Repressionsapparat und auf der anderen ein System an Wohltaten aller Art. Diese Neubauwohnungen gehören dazu, sie können billig mit zinsfreien Krediten gekauft werden, die unter Umständen nicht einmal zurückbezahlt werden müssen. Die Grundnahrungsmittel werden subventioniert, der Kraftstoff; Arbeitslose werden für Jobs bezahlt, die gar nicht existieren. Solche Zuwendungen sind besonders im Osten wichtig, um die Leute bei Laune zu halten. Dort sitzen große, mächtige Stämme und die können nicht leiden, dass im Westen einer von einem kleinen anderen Stamm, nämlich Gaddafi, alle Macht hat. Und sie sind extrem konservativ. Die Frauen laufen total verhüllt herum, was auch eine Form von Protest ist. Gaddafi hatte ja erst den Kopftuchzwang abgeschafft.
Der war einmal ein Modernisierer?
Klar, er hat die Frauen vor dem Gesetz gleichberechtigt, sie haben gleichberechtigten Zugang zur Universität und nutzen den auch. Man muss sich das vorstellen, vor der Revolution 1969 gab’s in Libyen tatsächlich nur drei oder vier Akademiker. Das hat sich geändert. Aber wegen der schlechten Qualität der Bildungsangebote studiert, wer es sich leisten kann, nach wie vor im Ausland.
Und kommen die danach zurück?
Ja. Die Libyer sind sehr erd- und familiengebunden. Das gesamte soziale Gefüge basiert auf dem Stammeswesen. Es gibt ja auch sonst nichts. Es gibt keine Clubs, keine Musikveranstaltungen, wo man sich treffen könnte.
Wieso eigentlich?
Das wären alles Möglichkeiten zur Zusammenrottung. Das System will keine öffentlichen Räume bis auf die in der Moschee. Außerdem gibt es nirgendwo Alkohol, denn nicht nur der Osten, sondern das ganze Land ist inzwischen wieder durch und durch islamisch.
Wie kam es dazu?
Das hat wohl damit zu tun, dass die Modernisierung nicht richtig funktioniert hat. Ursprünglich hat Gaddafi im Grünen Buch von 1973 ja eine tolle neue Gesellschaft angekündigt, eine Basisdemokratie mit so Basisvolkskongressen …
… also eine Art Räterepublik?
So ungefähr. Damals gab es eine revolutionäre Euphorie, und dann wurde auch noch Öl gefunden. In den 80ern stellte sich heraus, dass das Paradies auf Erden doch nicht eingetreten ist, so besann man sich wieder auf die Religion. Gaddafi ist jetzt der oberste Imam des Landes.
Richten sich die Proteste also gegen dieses Fake-System?
Das kann ich nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass sie ihren Ursprung im Osten haben, wo die kriegerischen Stämme leben, die Gaddafi blöd finden, einfach weil sei jeden blöd finden, der Macht über sie hat. Es gibt auch Fundamentalisten wie etwa die Islamic Fighting Group, die zur Freude des Westens von Gaddafis Regime stark verfolgt werden. Konkret passiert ist dies: Vor fünf Jahren, am 17. Februar 2006, wurde in Bengasi gegen die Mohammed-Karikaturen protestiert. Diese ursprünglich von der Regierung gewünschte Demo lief aus dem Ruder, es gab etwa 10 Tote. Und vor 15 Jahren hatte es einen Gefängnisaufstand in Tripolis mit etwa 1200 Toten durch Polizeigewalt gegeben. Der Menschenrechtsanwalt, der die Hinterbliebenen von damals vertritt, wanderte vor Kurzem in den Knast. Das kam mit den Geschehnissen in den Nachbarländern zusammen und führte zu den Protesten wiederum zuerst im Osten. Zudem gucken die Leute, weil sonst nichts los ist, den ganzen Tag Facebook. Da erschien ebenfalls ein Aufruf zum „Tag des Zorns“ – am 17. Februar. Wer dahinter steckte, weiß niemand. Es konnten alle möglichen Leute und Gruppierungen sein, bis hin zu Gaddafi selber, der als Revolutionsführer dem Volk ja auch die Köpfe der Regierung anbieten könnte. Strategie: Wir besetzen den Grünen Platz in Tripolis, bevor es andere tun. Da sind wir wieder bei der Demonstration, an der ich teilgenommen habe. An diesem 17. Februar gab es tatsächlich eine Kundgebung pro Gaddafi und gegen Al-Dschasira. Man muss da mitwirken, als einzige ausländische Beobachterin steht man eh unter Dauerverdacht.
Hatten Sie keine Angst?
Natürlich! Das war kein Sonntagsspaziergang. Dass scharf geschossen werden kann und Leute in den Knast wandern, war extrem präsent. Dennoch: Erst mal war das wie eine große Party, wie nach einem Sieg bei der Fußball-WM. Es gab alte Frauen, die mit Bussen herangekarrt wurden, bezahlte Demonstranten mit bunten Gaddafi-Bildchen und Fähnchen. Derweil ging im Osten schon die Post ab, aber davon erfuhr man zunächst nur vom Hörensagen.
Was wollen die Demonstranten?
Jedenfalls keine Demokratie. Es geht um Machtverteilung, um alte Rechnungen, um Rache. Ich habe keine einzige Person getroffen, die von Demokratie redete. Was sollte auch besser werden, wenn sich die Wirtschaft für Ausländer öffnet? Die Privilegien, die Wohltaten der Subventionierungen sind sie dann los, die Frauen müssen Angst haben, dass es fundamentalistischer wird. Am Donnerstag gab es das Gerücht, das in einer der Berber-Städte, in denen es besonders rumorte, die staatlichen Banken angewiesen wurden, jedem, der vorbei kommt, umgerechnet 30000 Euro auszuhändigen. Auch die Tuareg werden immer mit Geld ruhig gestellt. Abordnungen von Tuareg sollen sich nach Tripolis begeben haben, um Ergebenheitsadressen auszuhändigen, um zu verhindern, dass ihnen der Hahn abgedreht wird. Gaddafis Revolution hat nichts mehr anzubieten außer Geld und Waffen. Das funktioniert eine Weile, es gibt ja von beidem genug, aber es gibt keine gemeinsame Idee, keinen Enthusiasmus mehr. Die Proteste entwickeln eine Eigendynamik. Das hat nichts mit politischem Willen zu tun. Einer schießt, dann gibt es wütende Trauer, dann wird noch mehr geschossen, und auf diese Weise eskaliert das. Nun wird gefordert, Gaddafi muss weg. Klar, er ist ja auch derjenige, der die Armee geschickt hat. Interessant ist unser Reflex: Protest ist gut und bringt Demokratie. Aber das ist nicht mehr als ein Wunschdenken à la CNN.
Das Gespräch führte Sabine Vogel.
——————————
Foto: Empörte Libyer in der Stadt Benghazi im Osten des Landes fordern die Abschaffung des Gaddafi-Regimes.
Foto: Gabriele Riedle war in den letzten drei Wochen die einzige westliche Reporterin in Libyen.