Der Interview-Schwerpunkt ist die Arbeit mit den Lamboy-Kids
Hartmut Barth-Engelbart, Pseudonyme u. a. Carl Hanau, HaBE (Jahrgang 1947) ist Schriftsteller, Lyriker, Musiker, Liedermacher, Sänger und Grafiker. Nach beendeter Schullaufbahn folgten die Tätigkeiten Reserveoffiziersanwärter, Ausbilder und Kriegsdienstverweigerer bei der Bundeswehr, Zivildienst, Schriftsetzerlehre, Studium der Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Germanistik, Geschichte und eine Ausbildung zum Grundschullehrer. Zwischen 1967 bis 1991 arbeitete Barth-Engelbart in 36 verschiedenen Berufen vom Bauarbeiter bis zum Werbegrafiker und -texter. Zur Zeit ist er Grundschullehrer und Kinderchorleiter.
(Bild>)Hartmut Barth-Engelbart mit einem muslimischen Schüler auf dem Rücken
Seine politischen Publikationen führten in den frühen 1960ern zu Disziplinarstrafen bis hin zu Schulverweisen. Eine Lesung von Lyrik und Prosa gegen die Notstandsgesetze vor dem Bonner Bundeshaus sowie die dort improvisierte Ausstellung von entsprechenden Plakaten führten 1966 zur Festnahme in der Bannmeile. Die Verteilung der Texte führte 1967 zur erneuten Festnahme und erkennungsdienstlicher Behandlung in Michelstadt/Erbach. 1968 nach Beginn einer Schriftsetzerlehre bei der Frankfurter Rundschau wurde Barth-Engelbart bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg von einem Polizisten vom Dach des US-Handelszentrums in Frankfurt gestoßen und ist seitdem schwer behindert. 1979 tritt er aus dem Kommunistischen Bund Westdeutschland aus, dessen Mitglied er seit 1974 war.
2003 initiierte Barth-Engelbart die Hanauer Widerstandslesungen am Freiheitsplatz nach Wiener Vorbild. Bei den wöchentlichen Open-Air-Lesungen entstanden hunderte von zumeist politischen Gedichten. Im Dezember 2004 werden bei einer solchen Lesung 45 Gedichte von der Polizei „wegen versuchter Volksverhetzung“ beschlagnahmt und der Autor mit Festnahme bedroht. Nach Interventionen u. a. des Verbandes deutscher Schriftsteller wurden die Texte nach sechswöchiger Überprüfung von der Staatsanwaltschaft wieder herausgegeben; der Staatsanwalt entschuldigte sich öffentlich beim Autor.
Barth-Engelbart ist verheiratet, hat 2 erwachsene Kinder und lebt in Gründau/Hanau bei Frankfurt/Main. Zwei Drittel seiner Schülerinnen haben einen muslimischen Hintergrund.
MM:
Sehr geehrter Herr Barth-Engelbart, können Sie unseren zumeist jungen Lesern, welche die 60er Jahre kaum bewusst miterlebt haben kurz erläutern, was ein „Kriegsdienstverweigerer bei der Bundeswehr“ ist, oder wie kommt ein Mensch ausgerechnet innerhalb der Bundeswehr dazu, sein Leben anders auszurichten?
Barth-Engelbart:
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der so genannten Notstandsgesetze durch eine große Koalition von SPD und CDU unter dem Alt-Kanzler Kiesinger mit nazirelvanter Vergangenheit wurde mir klar, wozu diese Armee nicht nur nach außen sondern auch nach innen eingesetzt werden soll: Niederschlagung von Demonstrationen, Streiks, Einkesselung von Kundgebungen. Solche Einsätze sehen die immer noch geltenden Notstandsgesetze vor, die gleichzeitig fast alle demokratischen Grundrechte außer Kraft setzen und das Parlament völlig entmachten.
Theoretisch war mir das schon vor der Bundeswehr zumindest so ungefähr klar. Erst als ich mit 18 als Reserveoffiziersanwärter den Betrieb dieser angeblich demokratischen Armee von innen kennen lernte, konnte ich richtig begreifen, was hier vorbereitet wird: Die Menschen werden zu willenlosen Kampfmaschinen abgerichtet, ihnen wird das Kreuz gebrochen, sie werden behandelt wie der letzte Dreck, damit sie funktionieren und so abgerichtet auch mit den anderen Menschen so umgehen: du bist nichts und wenn du über Leichen gehst, gehst du über nichts. Dont worry, be happy and do your job!
Ich habe mit Diskussionen über die Atombewaffnung, über den Zweck der Bundeswehr, über die Geschichte der Wehrmacht und das aus dieser Nazi-Armee stammende Offiziers-Corps, über die Behandlung der Mannschaften durch die Offiziere, durch politische Debatten im Unterricht bei der Ausbildung eine ganze Panzergrenadier-Kompanie einsatzuntauglich gemacht, die Schießausbildung verweigert, meinen Zwangseinsatz als Ausbilder von Unteroffizieren dazu genutzt, sie ebenfalls zu verunsichern und zur Kriegsdienstverweigerung zu bewegen. Das waren ja meistens ziemlich verzweifelte bankrotte Kleinbauern aus dem Bayrischen Wald, dem Spessart und der Rhön, die aus purer Not zum Bund gegangen sind.
MM:
Wie kam es zu dem polizeilichen Übergriff gegen Ihre Person und welche Folgen hatte das für Ihr Leben, haben Sie dafür jemals Schadensersatz bekommen?
Barth-Engelbart:
Der Junge eines schwarzen amerikanischen Besatzungssoldaten und einer Hanauerin aus dem Stadtviertel Lamboy, in dem ich seit 1974 Jugendarbeit mache und als Lehrer arbeite, sollte einen sicheren Job machen, wollte nicht mehr als „Brikett“ gehänselt werden und ging zur Hanauer Bereitschaftspolizei. Unglücklicher Weise kam dort nach eines Weile heraus, dass er schwul ist. Er wird deshalb strafversetzt nach Frankfurt. Dort setzt ihn die Polizeiführung als Spitzel bei Demonstrationen ein, der in der ersten Reihe für Schlägereien sorgen soll, damit die uniformierten einen Grund haben, um loszuschlagen. Dann soll er blitzschnell die Rädelsführer festnehmen oder für die Festnahme sorgen. Der Mann ist geeignet. Alle Demonstranten jubeln, wenn er in der ersten Reihe mitmarschiert und „Black Power“ und „Free the Ramstein Four“ und „Ho-Ho-Ho-Tschi-Min“ skandiert.
Am Amerikanischen Handelszentrum wollten wir bei einer Demonstration gegen den US-Krieg gegen Vietnam den mit einem Kleinkalibergewehr bewaffneten Hausmeister der Anaconda-Metall(handels-)-Gesellschaft entwaffnen, als der vom Vordach aus auf die Demonstranten zielte. Wir habe ihn beinahe gefasst, ihn dann vertrieben und anschließend die Fahnen auf den Dach auf Halbmast gesetzt und zum Teil runtergerissen wegen des zigtausendfachen Mordes an den Vietnamesen. Da tauchte der V-Mann auf dem Dach auf, wollte mich festnehmen und ich habe ihm etwas auf die Finger geklopft.
Weil er mich nicht festnehmen konnte, war er sauer, weil er dafür keine Bewährungs- und Wiederaufstiegspunkte und auch kein Kopfgeld bekam. (für jeden festgenommenen Rädelsführer gab es eine Prämie). Dabei hat er mich vom Dach gestoßen. Ich konnte ihm das Rachemotiv natürlich nicht nachweisen, aber seine Tat erfolgte sicherlich nicht zum Schutz von irgendjemanden.
Anschließend wurde ich noch beim Tarnsport ins Krankenhaus im Notarztwagen von zwei Beamten der politischen Polizei verhört, ich sollte Namen nennen, ob Rudi Dutschke in Frankfurt Rädelsführer war oder Hans-Jürgen Krahl oder Günther Amendt. Nur in den Operationssaal durften sie nicht mit hinein. Nach der Operation saßen sie zwei Tage und Nächte zu zweit an meinem Bett. Wenn ich kooperativ sei, bekäme ich auch weniger als 5 Jahre Gefängnis. Aber nur dann, wenn ich wegen des Sturzes keine Anzeige machen würde. Wegen meiner schweren Behinderung musste ich meine Ausbildung als Schriftsetzer und Volontär bei der Frankfurter Rundschau aufgeben. Ich habe keine Pfennig Schmerzensgeld, Wiedergutmachung oder Ähnliches erhalten. Es hat 29 Jahre gedauert bis ich als Schwerbehinderter anerkannt wurde.
MM:
Entschuldigen Sie, wenn wir nachfragen, denn Ihre Behinderung geht die Öffentlichkeit nichts an, aber normalerweise wird doch eine Behinderung nicht von Gerichten festgestellt sondern von Ärzten?
Barth-Engelbart:
Ich bekam als Kommunist eben nicht nur ein defakto Berufsverbot als Lehrer, sondern auch eine „Sonderbehandlung“ bei allen staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen. 1968 war ich zu arm, um das Prozessrisiko gegen die Polizei zu wagen – wegen des Schmerzensgeldes und eventueller Rentenzahlungen. Unter Willy Brandt, dem sozialdemokratischen Bundeskanzler, kam zwar eine Generalamnestie für alle im Zusammenhang der 68er „Unruhen“ begangenen „politischen Straftaten“ – Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch usw. nur waren die entsprechenden Anklageunterlagen, die Ermittlungsakten immer noch bei den Behörden. Zeitungsverlage wurden mit Dossiers von der Polizei versorgt. So bekam der Stern zur Illustration einer Titelgeschichte über das organisierte Verbrechen in der „Kriminellen-Hauptstadt Frankfurt“ Fahndungsbilder von der Frankfurter politischen Polizei zur Verfügung gestellt, die den gesamten Bundesvorstand der sozialistischen Schüler zeigte, dessen Mitglied ich von 1968 bis 1971 war. Alle Vorstandsmitglieder wurden damals als typische Vertreter des organisierten Verbrechens in Frankfurt Landesweit präsentiert. Das hat mir bei der Arbeitssuche zur Finanzierung meines Studiums natürlich sehr geholfen. So musste ich gerade wieder einigermaßen mit orthopädischen Schuhen gehfähig jede Arbeit annehmen, auf dem Bau, als Sanitärmontagehelfer, als Messebauer, usw. Ich habe dann eine Zeitlang auch als Sportlehrer bis zu meinem Berufsverbot 1978 gearbeitet, die Schmerzen verschwiegen und übergangen, nach dem Berufsverbot hat mir das Hanauer Arbeitsamt gezielt Leistungen verweigert, mir Umschulungsmaßnahmen erst nach gerichtlichen Schritten „angeboten“ in dem Berufsfeld „Bürokaufmann“, wo die folgende Arbeitslosigkeit abzusehen war. Ich wurde in Abstimmung mit dem Arbeitsamt von der Umschulungs-Schule Schläger gegen Schwarzgeld als Lehrer eingesetzt – wozu ich gezwungen war, da mir das Arbeitsamt das Fahrgeld zur Schule verweigerte. Als ich dann in dieser Handelsschule eine Interessen-Vertretung der Umschüler aufbaute, wurde ich – obwohl ich als Lehrer eingesetzt wurde – „wegen mangelnder Leistungen und der Gefahr des Nichterreichens des Umschulungszieles“ mit Entfernung aus der Maßnahme und mit Leistungsentzug“ bestraft. Nach jahrelangem Prozessieren vor dem Sozialgericht wurde mir das Recht auf die weitere Teilnahme an der Umschulung zugesprochen. Mittlerweile musste ich aber von irgend etwas leben: ich arbeitete als Lagerist, Nahverkehrs-LKW-Fahrer, wurde wegen wieder auftretenden starken Schmerzen und Gehbehinderung erneut operiert. Bei vielen Bewerbungen musste ich meine – nicht anerkannte – Behinderung verschweigen, die Schmerzen waren zwischenzeitlich nach der zweiten Operation wieder erträglich. So konnte ich von 1990 bis 1995 sogar wieder als Sportlehrer arbeiten. Danach ging fast nichts mehr. Nach einem Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter wurde mir lediglich eine Behinderung von 20 % anerkannt, was überhaupt keine Entlastung gebracht hätte. Erst nach Intervention meines Anwalts und fast zwei Jahren Streit mit dem Versorgungsamt, unendlichen ärztlichen Zusatzgutachten wurde eine Behinderung von – wenigstens 50% anerkannt, was zu ein wenig Entlastung am Arbeitsplatz und bei den Steuern führte.
Es gibt noch ein sehr drastisches weiteres Beispiel, wie auf behördlicher Ebene politisch unbequeme Menschen aber auch ganz unpolitische Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger schikaniert werden und wurden: 1978/79 in einem der kältesten Winter des letzten Jahrhunderts hat mir das Sozialamt Hanau die Winterbrandbeihilfe verweigert. Ich musste wochenlang in einer ungeheizten Wohnung leben, heizte dann mit Müll und einem illegal installierten alten Kohleofen. Aber ich kenne viele Menschen, denen es noch viel dreckiger ging und geht. In dieser Zeit habe ich im Notfall auch gegen Naturalien und echte Kohle Deutschunterricht und Nachhilfestunden gegeben. Und alle Nachbarn in der Hanauer Lamboystraße haben mich unterstützt, mich zum Essen eingeladen, mir Holz und Kohle zum Heizen gegeben. In dieser Zeit habe ich viele Freunde gefunden, italienische, deutsche, türkische KollegInnen und ihre Familien, deren Enkelkinder ich heute noch unterrichte. Es war dann so, dass meine Wohnung von 1974 bis 1982 zur Nachbarschaftshilfezentrale wurde: Brief an Behörden, Erziehungsberatung, Resozialisierung, Drogenberatung und Anbahnung von Entzug, Vermittlung von Rechtsberatung .
MM:
Nun scheinen Sie ja auch im hohen Alter und trotz Behinderung nicht „leiser“ geworden zu sein. Erst jüngst haben Sie sich gleich mit einer ganzen Reihe von Autoren auseinandergesetzt, die dafür bekannt sind, ihre Gegner auch mit Prozesskosten in die Knie zu zwingen, was treibt Sie an?
Barth-Engelbart:
Ich vermute Mal, dass Sie da meine internet-öffentliche Auseinandersetzung mit Henryk Broder meinen. Auf den will ich nicht weiter eingehen. Eher schon auf die grünen Kriegervereinshäuptlinge wie Joschka Fischer oder den Landkriegsbefürworter gegen Serbien, den Frankfurter Pädagogik-Professor Micha Brumlik, der mich wegen meiner Gedichte in Frankfurt aus der Katharinen-Kirche hat rauswerfen lassen. Meine grundsätzliche Gegnerschaft zu neokolonialen Raubkriegen treibt mich an, aber es ist eigentlich die menschenverachtende Politik im Vorfeld der Kriege, die mich antreibt. Man kann zahllose Menschen auch ganz ohne Kriegswaffen umbringen, ihr Leben, ihre Lebensperspektiven zerstören: Bei Brumlik war es seine Forderung nach ersatzloser Streichung des muttersprachlichen Unterrichts für „nicht deutschstämmige“ Immigrantenkinder. Die Details zum Thema können auf meiner Internetseite nachgelesen werden.
MM:
Wie ist es zu verstehen, dass ein Brumlik Sie aus einer Kirche rausschmeißen konnte?
Barth-Engelbart:
Er hat mich rausschmeißen lassen. Am Vorabend des Tages der Menschenrechte im Dezember 2003 sollte Brumlik bei einer Podiumsdiskussion in der evangelischen Katharinenkirche zum Thema „Krieg für Menschenrechte?“ sprechen. Vielleicht war der Titel auch etwas anders. Ich habe vor der Kirche öffentlich zwei Gedichte gegen den Krieg, besonders gegen den Überfall auf Jugoslawien auf große Plakate geschrieben. Hunderte von Menschen blieben stehen und lasen und stimmten mehrheitlich zu. Dann bin ich mit diesen Gedichtplakaten in die Veranstaltung gegangen und habe sie nur hochgehalten. Unter den Gedichten stand, dass Prof. Brumlik, den Krieg gegen Jugoslawien propagiert hat und auch den Golfkrieg gegen Irak. Im Internet stand bis zu dieser Veranstaltung noch ein Brumlik-Beitrag, der die Bombardierung Belgrads rechtfertigte und/oder forderte (nach der Veranstaltung war dieser Beitrag plötzlich im Internet nicht mehr zu finden). Brumlik kam wutentbrannt auf mich zugelaufen und sagte laut, er habe niemals die Bombardierung Belgrads sondern nur einen Landkrieg gegen Serbien gefordert, was ich dann ebenso laut und satirisch als vergleichsweise „humanitären Akt“ bezeichnet habe. Jetzt forderte Brumlik den Hausherrn und Mitveranstalter – Pfarrer Stoodt – auf, mich und meine Gedichte sofort aus der Kirche zu entfernen, sonst würde er nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Dann geleitete mich Pfarrer Stoodt gegen meinen nur verbalen Widerstand aus der Kirche, wo ich draußen wiederum vor einigen Hundert Menschen die kommentierten Gedichte an die Kirchentür hängte. In der Kirche hatte ich das bereits angekündigt, ich würde mich am Gründer der evangelischen Kirche nur soweit orientieren, dass ich die Thesen jetzt an die Kirchentüre hängen würde. Luthers abgrundtiefen Antisemitismus dagegen würde ich entschieden ablehnen und bekämpfen. Die Nazis konnten sich in ihrer Hetze gegen Juden auf viele drastische Äußerungen Martin Luthers berufen.
MM:
Woher aber nehmen Sie die Kraft die Auseinandersetzung an so vielen Schauplätzen gleichzeitig zu überstehen, sind Sie ein gläubiger Mensch?
Barth-Engelbart:
Das droht jetzt sehr philosophisch zu werden. Ich bin im landläufigen Sinne kein gläubiger Mensch. Ich bin 1968 aus der SPD und aus der Kirche ausgetreten. Wenn ich mich in meinen Texten, Gedichten mit der falschen Gläubigkeit, mit dem Opium fürs Volk auseinandersetze, nehme ich immer den Brecht’schen Baal, um die religiösen Gefühle der Menschen nicht zu verletzen. Den alten Baal gibt es in keiner der noch existierenden Religionen mehr. Wie man die Kraft hinter dem schwarzen Loch im All auch immer nennen mag, wie man sich jeweils vorstellt, wie das All und diese Welt entstanden sind, welche Kräfte, welche Kraft sie erschaffen haben, das alles ist mir letztlich gleich-gültig. Ich glaube aber dass in uns allen ein Stück dieser Kraft steckt, die da seit Milliarden und mehr Jahren wirkt .
Ich vermittle meinen Kindern immer, dass wir alle aus dieser Kraft kommen, dass wir alle – um es religiös auszudrücken – Kinder eines Gottes sind, respektive einer Kraft, die manche Allah nennen, manche Jahve, manche Gott, dass in uns allen ein Funke dieser Kraft steckt. Und in der ganzen Schöpfung. Die Aborigines in Australien, die Indios in Lateinamerika, die naturreligiösen Stämme Zentralafrikas und Polynesiens achten ihre Umwelt, die Natur als göttlich und wissen seit zigtausenden von Jahren, dass wir sie schonen und erhalten müssen. Nach einigen Hundert Jahren wissenschaftlich-rationalem Nachtrab bestätigen sich viele dieser vorwissenschaftlichen Erkenntnisse jetzt auch endlich in der abendländischen Rationalität, Erkenntnisse die teilweise ja auch Eingang in die verschiedenen heiligen Bücher genommen haben. Ich denke da an viele sehr sinnvolle und mittlerweile auch wissenschaftlich gestützten Regeln im Qur’an und in der Bibel. Wobei ein Teil der Regelwerke offensichtlich bestens geeignet ist für nomadisierende Hirtenvölker. Für Gesellschaften mit hoch industrialisierter Produktion müssen diese Regeln immer im Sinn der Erhaltung der Schöpfung/unserer natürlichen Lebensgrundlagen verändert und neue erstellt werden.
MM:
Themenwechsel; auf dem Foto sieht man Sie mit einem ihrer muslimischen Schüler, die inzwischen die Mehrheit ihrer Schule ausmachen. Welche Erfahrungen haben sie in dieser ganz Deutschland prägenden Entwicklung und welche Probleme würden Sie gerne außer dem muttersprachlichen Unterricht ansprechen?
Barth-Engelbart:
Ich fange lieber mit den positiven Erfahrungen an: Dadurch, dass ich die Kinder so angenommen habe, wie sie sind, ihr Herkunft und Kultur, ihre Religion und ihre Speisekarte, ihre Lieder und Rhythmen, ihre Sprache und ihre Probleme angenommen, ernst genommen, sie angehört und ihnen meine Zeit gegeben habe, habe ich einen unversiegbaren und letztlich auch unbesiegbaren Quell an Energie und Freude entdeckt.
Wir brauchen kleinere Klassen, mehr zuverlässige – also nicht von Versetzung und Entlassung bedrohte – kontinuierlich ansprechbare Bezugspersonen in einer Zeit, wo die Arbeitsverhältnisse und die Arbeits- und Einkommenslosigkeit die familiären Strukturen zerstört.
Wir brauchen Ganztagsschulen, die bei den Kindern die Lust auf das Lernen nicht mit Noten erschlagen sondern diese Lust beflügeln.
Noten sind Selektionsinstrumente. Kombiniert mit der gezielten Entwicklung der Schulen zu pseudoeffizienten Gewerbebetrieben handelt es sich hier um hochgradig organisiertes Verbrechen an unseren Kindern. Die staatlichen Schulen werden auf absolutem Minimalinput immer weniger Lern- und immer mehr Disziplinierungs- und Dressurorte. Und die Kinder der betuchten Eliten dürfen sich an wenigen Eliteschulen auf ihre Plätze an den Spitzen in Wirtschaft und Politik vorbereiten, unbehelligt von möglichen Konkurrenten aus dem normalen Volk. Bevor meine Antwort hier zum abendfüllenden Vortrag wird, möchte ich hier abbrechen.
MM:
Herr Barth-Engelbart, wir danken für das Interview.
Barth-Engelbart:
Ich danke Ihnen für Ihre Fragen und die Möglichkeit, mich hier zu äußern.
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Unterschlagseiten – Buch von Hartmut Barth-Engelbart beim Zambon-Verlag
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